Zeitschrift Wege (94/3): Krebs ein Hilferuf der Seele

Die Medizinerin Ingeborg Schöffel beschreibt in ihrem Artikel "Krebs - ein Hilferuf der Seele" die psychologischen Hintergründe der Krebserkrankung und das besondere Dilemma der Krebspersönlichkeit. Einleitend unterscheidet sie die drei Komponenten der Verzweiflung nach LLe Shan:

  1. Jedes Erleben eines Sinnes im Leben ist an eine Beziehung geknüpft, die als vorübergend erlebt wird und zur Verzweiflung führt.
  2. Es existiert kein Glaube an die Veränderung zum Positiven.
  3. Es fehlt der Glaube, aus der Einsamkeit herauszukommen.

Ein sichtbarer Ausweg aus der Verzweiflung sei nur durch die "Endgültigkeit des Todes" gegeben. Denn vielen Krebskranke meisterten ihren Alltag sehr gut: "Mit stoischer Ergebenheit, ertragen sie ihr Leben, ohne Bitterkeit oder Groll zu zeigen." meint Schöffel. Um dieser Zwickmühle zu entgehen, müßten Krebskranke den Teil ihrer Persönlichkeit aufgeben, der sich ständig in "verzweifelten und hoffnungslosen Sitationen" wiederfinde. Aber gerade dieser Prozeß könne erneut zu Verzweiflung führen: "so wie ich lebe, bin nicht ich selbst" oder "Entweder ich bin so, wie ich bin - allein und ungeliebt - oder ich gebe mich selbst völlig auf, um ein/e andere/r zu sein, der dann geliebt werden kann." - das seien die einzigen Alternativen, die sich Krebspatienten offenließen: Entweder Individualität oder Geliebtwerden. Diese Entweder-Oder-Perspektive (Ich oder die Liebe) potenziere die Verzweiflung.

Gibt es eine gemeinsame Lebensgeschichte?

Die Biographien wiesen nach Schöffel folgende Gemeinsamkeiten auf: "... die Fähigkeit des Kindes, Beziehungen einzugeben, wurde sehr früh nachhaltig geschädigt - meistens bereits im ersten Lebensjahr. In diesem Lebensabschnitt wird das Gefühl entwickelt, daß gefühlsbetonte Beziehungen zwangsläufig zu großen Schmerzen führen." Durch diese Erkenntnis würde die Einsamkeit zum ständigen Begleiter. In der Pubertät erlebe die Krebspersönlichkeit dann zum ersten mal Gefühle einer sicheren und bedeutungsvollen Beziehung. Die Beziehung werden dan zum zentralen Brennpunkt des eigenen Lebens.

Weiterhin, betont Schöffel, weise die typische Krebspersönlichkeit ein erheblich höheres Maß an Gefühlspotential als Ausdrucksmöglichkeiten auf. Dadurch käme es zu einer "Verstopfung" im Gefühlsleben (Nach Schöffel, Unfähigkeit, eigene Gefühle auszudrücken, bzw. anderen offen zu zeigen).

Die doppelte Blockierung und die Angst vor Ablehnung

Wenn eine Krebspersönlichkeit, die Beziehung seines Lebens verloren habe, komme es zu einer doppelten Blockade:

  1. der Verlust der emotionalen Ausdrucksmöglichkeiten
  2. die Unfähigkeit negativ bewerte Gefühle sichbar auszudrücken.

    Folge: emotionaler Dauerstress, in dem die Widerstandskraft gegen fremdartige Krebszellen um ein Vielfaches verringert sei.

Auffällig bei der Krebspersönlichkeit sei außerdem, daß die Krebspersönlichkeit trotzt der übergroßer Angst vor der Ablehnung durch andere, die Zurückweisung ihrer Person ihrer Person ständig selbst herausfordern. Hinzu käme, daß die Ansprüche bezüglich Leistung und Anpassung so hoch gesetzt würden, daß eine erfolgreiche Erfüllung dieser Ansprüche fast unmöglich sei. Konsequenz: ein hohes Maß an Unzufriedenheit.

 

Die Therapie: Befreiung der eigenen Persönlichkeit

Wer aber nun um sein Leben kämpfe wolle, müsse zu allererst sich selbst annehmen und lieben lernen. Langfristig sollte der Betroffene zu einer Erweiterung, Entfaltung und Befreiung der eigenen Individualität kommen. Nur so könne die Person zum Leben zurückfinden und habe eine Chance zur Befreiung großer innerer Potentiale und tiefster Wünsche. In einer Atmosphäre der spürbaren Akzeptanz entspannten sich viele und seien bereit zu einer vorsichtigen und langsamen inneren Öffnung: "Es geht immer darum, das Innenleben wieder zur vollen Blüte zu erwecken und die Kräfte zu befreien, die es dem Menschen ermöglichen, sich selbst, den Sinn seines Lebens und Sterbens zu begreifen - und die Krankheit als einen Ausdruck des eigenen Selbst zu verstehen und nicht als eine Katastophe von außerhalb - interpretiert Schöffler das therapeutische Potential. Nur so könnte die Gesamtpersönlichkeit den ersten Schritt zur Heilung einleiten.